Donnerstag, 30. Dezember 2010

Interview - "Ältere Menschen haben eine Menge zu bieten"


30.12.2010 · 06:50 Uhr
Rentner in Dresden (Bild: AP) Rentner in Dresden (Bild: AP)

"Ältere Menschen haben eine Menge zu bieten"

Altersforscher: Demografischer Wandel erfordert Gestaltung

Thomas Klie im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler

"Wenn es um die Stabilität der Gesellschaft geht", könnten ältere Menschen viel tun, sagt Altersforscher Thomas Klie. Dabei fordert er eine stärkere Rolle der Kommunen bei der Vorbereitung auf die fortschreitende Alterung der Gesellschaft.
Jan-Christoph Kitzler: Das ist inzwischen wohl in allen Köpfen angekommen: Wir werden immer älter. Und hoffentlich nicht nur der Einzelne im Vergleich zu früheren Generationen, sondern auch die Gesellschaft als Ganze. In den Debatten ist der demografische Wandel höchst präsent, mal als Bedrohung, die zum Beispiel unsere Sozialsysteme vor gigantische Aufgaben stellt, mal aber auch eher optimistisch gesehen als etwas, das man gestalten kann. Vielleicht relativiert sich das Thema, wenn man mal über den Tellerrand schaut, wie andere Gesellschaften mit immer älter werdenden Menschen umgehen. Das tue ich jetzt mit Thomas Klie, er ist Professor an der Evangelischen Hochschule Freiburg und eines seiner Schwerpunktthemen ist soziale Gerontologie und Pflege. Darüber hat er schon in ganz unterschiedlichen Regionen der Welt geforscht. Guten Morgen!

Thomas Klie: Guten Morgen!

Kitzler:Auch in anderen Ländern steigt die Lebenserwartung. Das heißt aber nicht unbedingt, dass auch die Gesellschaft als Ganze älter wird, wenn gleichzeitig auch viele Kinder geboren werden. Wann ist denn ein Vergleich überhaupt sinnvoll?

Klie: Nun, es ist ein weltweites Phänomen, dass wir mit den Herausforderungen des demografischen Wandels konfrontiert sind. Das betrifft uns in Europa, das betrifft die sogenannten entwickelten und Industriestaaten heute schon, das wird aber in einigen wenigen Jahren und Jahrzehnten auch etwa für Afrika gelten. Und insofern macht es durchaus Sinn, zu sehen, wie die verschiedenen Gesellschaften auf diese Veränderung sowohl demografischer Art als auch mit Blick auf die insgesamt steigende Lebenserwartung reagiert.

Kitzler:Sie haben ja gerade erst im vergangenen Sommersemester in Namibia geforscht, gibt es da Erkenntnisse, die sich auf Deutschland übertragen lassen?

Klie: Nun, zunächst mal ist es beeindruckend zu sehen, wie eine Gesellschaft, die ja nun mitnichten über ein soziales Sicherungssystem, das dem Vergleich mit Deutschland standhält, mit den An- und Herausforderungen eines langen Lebens umgeht. Die werden ja auch noch überlagert durch ganz andere Herausforderungen, die sich dort in der Verbreitung der Aids-Erkrankung niederschlägt, und hier haben ältere Menschen zunächst mal ganz, ganz wichtige Aufgaben in der innergenerativen und intergenerativen Solidarität. Sie sorgen für die Jungen, für die Kinder, für die Enkelkinder, für die Urenkel bisweilen, und es zeigt sich hier in beeindruckender Weise die, ja, Leistungs- und Solidaritätsfähigkeit der älteren Generation für die Gesellschaft.

Und das ist etwas, was wir leicht aus dem Blick verlieren, wenn wir den demografischen Wandel vor allen Dingen als Last sehen und hier vor allen Dingen diskutieren, wie werden wir mit den zukünftigen Rentenzahlungen und auch der Pflegeversicherung fertig. Ältere Menschen haben eine Menge zu bieten, wenn es um die Stabilität der Gesellschaft geht, wenn es darum geht, etwas für andere Generationen zu tun. Das kann man in beeindruckender Weise auch und gerade in Afrika studieren.

Kitzler:In Deutschland sind über 20 Prozent der Menschen jetzt schon 65 Jahre oder älter, in Namibia, habe ich gelesen, gerade mal 3,7 Prozent. Ist denn da das Älterwerden überhaupt ein Thema?

Klie: Doch, doch, es ist ein Thema. Es ist auch ein bisschen mehr inzwischen, es liegt bei sechs Prozent, aber trotzdem ist es natürlich gar nicht vergleichbar mit Deutschland oder Europa. Auch hier ist die fernere Lebenserwartung, also derer, die heute 60 sind, immerhin noch 16 Jahre, das ist eine enorme Zeit. Also wer es gewissermaßen schafft, das mittlere Erwachsenenalter zu "überstehen", in Anführungsstrichen, auch mit Blick auf Aids, der hat eine relativ lange Lebensperspektive. Und die Fragen, die sich mit dem hohen Alter verbinden, die stellen sich natürlich in Namibia letztlich auch nicht sehr viel anders als bei uns, das Alter ist auch biologisch determiniert, die Biologie ist keine Freundin des Alters und damit muss man eben auch und gerade in Namibia umgehen, und das tut man dort auch in durchaus beeindruckender Weise.

Kitzler:Die Lebenserwartung, über die wir gerade geredet haben, ist ja das eine. Aber ein längeres Leben heißt ja nicht unbedingt, dass man auch glücklich ist. Wann sind denn auch gerade in dieser Vergleichsperspektive ältere Menschen glücklich?

Klie: Wenn sie Bedeutung haben für andere Menschen, wenn sie ihrem Leben einen Sinn geben können, wenn sie sozial integriert sind. Wir wissen es auch aus Deutschland, die Langlebigkeit, die fernere Lebenserwartung hängt stärker von der sozialen Integration ab als von dem Gesundheitszustand. Hoher Blutdruck und ein hoher Cholesterinspiegel sind für die fernere Lebenserwartung nicht so wichtig wie die sozialen Netzwerke, und auch das kann man gerade, im Guten wie im Schlechten, etwa in Namibia oder anderen afrikanischen Staaten studieren.

Kitzler:Aber wenn das Glück vor allem vom sozialen Umfeld, sag ich mal, abhängig ist, ist das überhaupt ein Bereich, bei dem die Politik viel gestalten kann?

Klie: Oh doch, sie kann sehr viel dafür tun, dass Menschen im Alter sowohl in der Arbeitswelt ihren Platz behalten, dass Nachbarschaften, dass die soziale Architektur ebenso ernst genommen werden wie die bauliche, dass wir nicht nur auf Markt und Staat setzen, sondern gerade auch die Eigen-, Selbst- und Mitverantwortlichkeit älterer Menschen ansprechen. Und ich bin sehr, sehr dafür und bin davon überzeugt, dass wir den Kommunen wieder eine viel, viel stärkere und aktivere Rolle zuweisen müssen, wenn es um die Gestaltung von Lebensverhältnissen geht.

Wir können nicht alles versichern, wir können uns auch nicht gegen Pflege versichern. Wir müssen lernen, füreinander zu sorgen im Alltag, für ein gelingendes Leben in unserer Nachbarschaft, im Freundeskreis und dieses nicht nur zu propagieren über neue Altersbilder und differenzierte Altersbilder, wie es jetzt im 6. Altenbericht geschehen ist, sondern dass wir auch Strukturen schaffen, die Menschen einladen, ihr Leben auch sozial integriert im Alter zu leben. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe von Politik auf Bundes-, Landes- und vor allen Dingen auf kommunaler Ebene.

Kitzler:Dem entnehme ich mit Ihrer internationalen Erfahrung, dass Sie der Meinung sind, hierzulande tut die Politik, tut die Gesellschaft zu wenig, um sich dem demografischen Wandel zu stellen, oder?

Klie: Keine Frage, überall wird vom demografischen Wandel gesprochen, ich finde, häufig zu negativ, als wäre das die Bedrohung schlechthin. Es ist eine Herausforderung, die wir annehmen und gestalten müssen, und was wir fälschlicherweise tun, ist, dass wir die zum Teil auch mühsamen Anforderungen, denen wir uns zu stellen haben, auf eine nationale Ebene heben, auf die Ebene der Pflegeversicherung, auf überhaupt eine Versicherungslogik. Wir können uns gegen das hohe Alter nicht versichern, wir müssen es gestalten. Und insofern, glaube ich, ist auch ein Umdenken in der Gesellschaft und auch in der Politik gefragt, dass wir stärker die örtlichen Lebensverhältnisse wieder mehr in den Blick nehmen und nicht so tun, als würden wir das alles in synthetisierten Formen der Solidarität, in Renten- und Pflegeversicherungsleistungen bewältigen können. Das wird nicht funktionieren, das ist eine Täuschung, der auch die Politik zum Teil aufsitzt.

Kitzler:So sieht es Thomas Klie, Professor an der Evangelischen Hochschule Freiburg, der schon in vielen Gegenden der Welt zum Thema Alter geforscht hat. Vielen Dank dafür!

Klie: Ja, vielen Dank!

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