Montag, 12. Dezember 2011

Experten plädieren für Fortführung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung

Experten plädieren für Fortführung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung

Berlin: (hib/EIS) Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird von Experten einmütig als nützliche Grundlage für Entscheidungen in der Sozialpolitik gesehen. Das geht aus einer am Montag veranstalteten öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Thema „Armut und Reichtum in Deutschland“ hervor. 
Der Anhörung lagen je ein Antrag der SPD-Fraktion (17/4552) und der Fraktion Die Linke (17/6389) zugrunde. Darin forderte die SPD, die Datenbasis für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung zu ändern und die Linksfraktion, den Fokus auf die Analyse der Kosten sozialer Ungleichheit zu legen. 
Ein Problem, das die eingeladenen Sachverständigen in der Form der Berichterstattung sahen, waren zu „holzschnittartige“ Definitionen von Begriffen wie Reichtum oder Armut. 

So bemängelte Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, dass eine pauschale Festlegung des Armutsbegriffs bei der Unterschreitung eines Einkommens von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens nicht zielführend sei. „Es ist falsch, sich nur auf diesen einen Indikator zu konzentrieren“, sagte er. Wirklich benachteiligte Gruppen würden in solch einer Betrachtung nicht sichtbar und es würde der Blick versperrt, klare Aussagen treffen zu können, um entsprechende Maßnahmen zur Abhilfe einzuleiten. 

Der Experte Christoph Schröder vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln erweiterte die Perspektive des Armutsbegriffs in diesem Zusammenhang hinsichtlich der mangelnden gesellschaftlichen Teilhabe bestimmter Gruppen, die nicht nur unter monetären Aspekten zu fassen sei.

Auch der Begriff des Mittelschicht und die Frage ob diese abstürze, sei wissenschaftlich nicht eindeutig zu bestimmen, so der Sachverständige Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum. So stellte der Wissenschaftler derzeit „wenig Dynamik“ in der Mittelschicht fest. „Aussagen über Absturzängste können aus den zur Verfügung stehenden Daten aber nicht abgeleitet werden“, sagte er.

Die Ausweitung der Berichterstattung über die Kosten sozialer Ungleichheit befürwortete Irene Becker vom Institut für empirische Verteilungsforschung in Riedstadt: „Diese sind sehr vielfältig und können zum Beispiel über verpasste Bildungschancen zu einer Verminderung der Einnahmen der Betroffenen führen.“ Das führe wiederum zu einer zusätzlichen Belastung der übrigen Steuerzahler.

Ingo Kolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund mahnte, dass 22 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor „gefangen“ seien. „Langfristig gelingt es nur in Einzelfällen aufzusteigen.“ Er befürwortete daher das Instrument der Einzelfallerhebung, um zu sehen, wie es gelingt den Aufstieg zu schaffen. „Aber eine Gegenmaßnahme, um Armut zu verhindern, bleibt nur die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns“, betonte er, weil es den Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor trotz Einkommen sonst nicht gelingen werde, nicht in die Armut abzurutschen. 

Rudolf Martens vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisierte daher auch den Bericht: „Weil er nicht so politisch wirksam ist, wie gewünscht.“ Es reiche demnach nicht, nur die Armut darzustellen, sondern es sei erforderlich, die fiskalischen Kosten für Armut genau aufzuführen. „Die Armut nahm trotz außerordentlicher Exporterfolge in den vergangenen Jahren nicht ab“, stellte er fest. Aus diesem Grund sollte die Betrachtung der Entwicklung der Armut im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Erfolgen und der Ausweitung des Niedriglohnsektors vorgenommen werden.

Einig waren sich die Wissenschaftler in der Frage, dass es bisher nicht gelungen sei, Reichtum für die Berichterstattung eindeutig zu definieren. „Das ist schwierig zu erfassen“, sagte Martin Werding. Da es sich um eine vergleichsweise kleine Gruppe handele, die sehr vermögend sei, bleibe den Wissenschaftlern lediglich das Mittel der Stichprobe, um Daten zu erheben. „Das ist statistisch sehr schwierig“, so der Sachverständige. Außerdem gebe es keinen Konsens darüber, wann Reichtum im Sinne der Berichterstattung problematisch sei und wann nicht.

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